16. März 2018

Warum ich in den JVA-Gesprächskreis gehe (1)

 

 

Alles, was früher selbstverständlich war, war plötzlich weg: Mit meiner Inhaftierung begann für mich  ein neuer Lebensabschnitt. Ein Lebensabschnitt voller Selbstvorwürfe und Selbstzweifel. Ein Zustand, an dem ich innerlich Stück für Stück zugrunde ging. Ich zog mich mehr und mehr zurück und konnte mich für rein gar nichts begeistern. Es gab kein Entrinnen aus dieser Situation – wie auch?

Ich konnte mich ja selbst nicht akzeptieren und zog mich somit immer tiefer in eine Art Scheinwelt zurück. Selbstvorwürfe, Trauer, unerfüllte Sehnsüchte, Minderwertigkeitsgefühle und Scham trieben mich immer tiefer in Depressionen.

Sich wohl fühlen im Negativen

Das Komische an dieser Situation war, dass ich dieses Gefühl rasch als etwas ganz Normales akzeptierte. Ich genoss es fast schon, in diesem Käfig von negativen Gedanken zu leben. Dieser Zustand hielt lange an. Meinen Haftraum verließ ich immer seltener. Ich fühlte mich wohl in meiner Einsamkeit. Ohne es zu merken rutschte ich immer tiefer ab. Dann kamen die Selbstmordgedanken. Von da an spürte ich meine Hilflosigkeit. Ich wollte diese Gedanken nicht, konnte mich aber nicht von ihnen befreien. Hilfe zu suchen war für mich unmöglich.

Es gab damals eigentlich nur einen Mithäftling, mit dem ich mich regelmäßig auf eine Tasse Kaffee oder ein kurzes Gespräch traf. Dieser Mithäftling spürte, dass mich etwas Gewaltiges bedrückte. Er sprach mich auch immer wieder darauf an und ließ nicht locker. Nach einiger Zeit kam er eines Tages mit dem Vorschlag, ich solle doch mal in den christlichen Gesprächskreis von “Projekt Brückenbau” reinschauen. Er selbst war schon einige Jahre Mitglied und konnte nur Gutes berichten.

Ich musste dringend etwas ändern

Meine erste Reaktion: Was soll ich da? Gott interessierte mich nicht die Bohne. Als Kind musste ich zweimal die Woche in die Kirche gehen. Gott oder Glauben wurden mir aber nicht vermittelt. Der Kirchgang war für mich eine widerliche Pflicht wie der tägliche Besuch der Schule. Ich war Ministrant und sogar Sternsinger – alles hat mich angekotzt. Mit 15 oder 16 Jahren war ich dann das letzte Mal in einer Kirche. Gott und Glaube spielten absolut keine Rolle mehr in meinem Leben. Und so habe ich dann auch gelebt. Wo es mich hingebracht hat, sehe ich ja jetzt.

Nach diesem Gespräch mit dem Mithäftling nahm die Frage nach Gott bei mir aber einen nicht für möglich gehaltenen Raum ein. Nachdem ich 40 Jahre ein oberflächliches und egoistisches Leben geführt hatte, musste ich nun zugeben, dass ich irgend etwas dringend ändern musste. Ohne große Erwartungen besuchte ich einige Wochen später wirklich zum ersten Mal den christlichen Gesprächskreis hier in der JVA. … (Teil 2)

S. J., JVA Celle

“Warum helfen Sie im Schwarzen Kreuz ausgerechnet Kriminellen?”

 

Foto oben: Mathias Collin; Foto unten: Schwarzes Kreuz

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„Gott merkt ja doch nichts!“, sagen manche. „Was weiß der da oben schon von dem, was hier vorgeht?“