Ein erster Blick hinter Gitter
Da traut man erst einmal seinen Ohren nicht: Jemand, den ich sehr schätze, war im Gefängnis gelandet! Gut, seine Strafe betrug nur einige Monate, aber trotzdem. Was mochte da passiert sein? Ich überlegte, ob es sinnvoll sein könnte, wenn ich ihm Briefe schrieb und versuchte, ihm Mut zu machen. Ich rief den Seelsorger der Anstalt an, in der ich ihn vermutete.
Der riet mir, mich erst einmal ans Schwarze Kreuz zu wenden. Der Briefwechsel mit Inhaftierten sei gar nicht so einfach, im Schwarzen Kreuz würde ich dafür beraten und geschult. Also rief ich in Celle an. Dort erfuhr ich, dass es direkt in meinem Wohnort Osnabrück einen Arbeitskreis gab. Ich setzte mich gleich mit seinem Leiter Uwe Engelmann in Verbindung. Und der lud mich in den Gesprächskreis in den Offenen Vollzug ein.
Meine Umgebung reagierte nicht gerade begeistert auf mein Vorhaben. „Musst du gerade in den Knast gehen, es gibt doch so viel Schönes!“ sagte eine Bekannte. „Ja, aber es gibt auch so viel Schreckliches!“ antwortete ich. Sollen wir davor etwa die Augen verschließen?
Mit Rollator ins Gefängnis
Aber dann war ich erst einmal wirklich überrascht. Die Gefangenen haben mich so gut aufgenommen! Dabei sind wir so unterschiedlich. Sie sind junge, fitte Männer; ich bin 69, behindert und brauche einen Gehstock oder einen Rollator. Aber sie waren so offen und freundlich zu mir; ich konnte kaum glauben, dass ich ja schließlich im Gefängnis war!
Jetzt war ich einige Mal dabei und habe beim letzten Mal offiziell meinen „Einstand“ in der Gruppe gefeiert, mit einem großen Blech Pflaumenkuchen. Mitglied im Schwarzen Kreuz bin ich jetzt auch. Früher hätte ich nicht gedacht, was für eine Freude solch ein biblischer Gesprächskreis im Gefängnis machen kann. Hier fühle ich mich angenommen, genauso wie hoffentlich die anderen auch. Wir führen intensive, dichte Gespräche über Gott und die Welt und können gleichzeitig locker reden. Wir beten zusammen und haben genauso Spaß miteinander. Ich bin gespannt, was wir gemeinsam noch erleben werden.
Eins haben wir jedenfalls schon mal vor. Ich habe angeregt, ob ein Einführungsseminar des Schwarzen Kreuzes direkt hier bei uns vor Ort stattfinden kann. Mit meiner Behinderung kann ich nicht gut reisen, und es wäre doch schön, so ein Seminar als Gruppe gemeinsam zu erleben. Im Moment sieht es so aus, als ob es klappen kann.
Übrigens stellte sich heraus, dass mein Bekannter gar nicht in jener JVA inhaftiert war, in der ich ihn vermutet hatte. Aber ich bin froh, dass ich über die Suche nach ihm zum Arbeitskreis Osnabrück gekommen bin.
Claudia Wagner (aufgezeichnet von U. Passarge)
Foto: Rolf Handke (Spatz) Matchka, www.pixelio.de