23. Februar 2017

Wenn der Turm doch noch purzelt (PAG)

Von einer Konkurrenz war eigentlich gar nicht die Rede gewesen. Jede Gruppe sollte einfach nur einen Turm bauen, etwa schulterhoch, aus Zeitungspapier. Und ohne zu reden. Also zwei Gruppen mit je vier Leuten.

Eine kurze Besprechung zuvor war erlaubt. Klar, wir vier wussten gleich, wo wir hinwollten. Blätter zusammenkleben und hoch damit. Es klappte auch zunächst alles. Bis ich den ersten Blick zur anderen Gruppe hinüber riskierte.

Schadenfreude…

Die vier machten einfach Würfel und stapelten sie aufeinander. Tolle Idee! Gut sah das aus, und ihr Turm war schon viel höher als unserer…

Aber dann: Der Turm nebenan fiel in sich zusammen! Ich konnte mir ein leicht schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen. Die vier stapelten von vorn. Diesmal auf breiterem Fundament und mit Klebestreifen. Sollen sie; die kriegen uns nicht mehr.

Kriegten sie doch. Bis ihr Turm ganz am Ende doch noch purzelte. Ein heftiger Wortwechsel folgte, wer denn jetzt schuld daran war. Und welche Gruppe hatte überhaupt gewonnen?

Gar keine. Es war ja gar nicht ums Gewinnen gegangen. Und wieso war es wichtig, wer schuld war? Was war da mit uns passiert?!

Kraft, die verändert

Mit unseren drei Trainerinnen und Trainer besprechen wir die Situation. „Damit es nicht so leicht kracht“ lautet der Titel unseres Seminars am letzten Sonnabend. Es ist der zweite Tag eines Grundkurses des „Projekts Alternativen zur Gewalt“ (PAG), der bei uns in der Geschäftsstelle in Celle stattfindet. Zwei Inhaftierte sind dabei,  sechs kommen von “draußen”.

PAG möchte in seinen Kursen dazu beitragen, Konflikte so zu regeln, dass sie sich wirklich lösen. Dabei geht es nicht darum, bestimmte Wege von anderen zu übernehmen. Stattdessen forschen wir nach einer positiven „verändernden Kraft“ im Konflikt: Wie lässt er sich nicht nur regeln, sondern wie hilft er vielleicht sogar, Beziehungen zu verbessern? Die Methoden von PAG kommen dabei spielerisch-praktisch statt theoretisch daher. Und, wichtiger Grundsatz: Wer irgendwo nicht mitmachen möchte, braucht das auch nicht. Keiner muss „leisten“. Jeder nimmt mit, was sie oder er mitnehmen möchte. Und unsere Veranstaltung entpuppt sich als abwechslungsreicher Tag mit manch erhellender Einsicht.

Entstanden in New Yorker Gefängnis

Entstanden ist PAG 1975 in New York. Gefängnisinsassen wollten das Klima der Gewalt in ihrem Gefängnis ändern. Sie fragten bei den Quäkern an, einer traditionellen Friedenskirche. Zusammen entwickelten sie ein Programm. 1994 kam es nach Deutschland. Zurzeit finden in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Baden-Württemberg Kurse statt.

Aufgrund dieser Wurzeln hat PAG heute zwei Besonderheiten: Nach wie vor findet die Arbeit zu einem großen Teil in Gefängnissen statt. Wer von „draußen“ teilnehmen möchte, ist herzlich eingeladen dazuzukommen. Und PAG funktioniert auf rein ehrenamtlicher Basis.

Trainer kommen in ihrer Freizeit

Auch unsere drei PAG-Trainer verbringen diesen Tag in ihrer Freizeit mit uns. Dass sie zu dritt einen Kurs für nur acht Menschen leiten, empfinden sie nicht als Nachteil: „Im Gegenteil, wir können uns alle Aufgaben teilen. Dadurch ist es auch für uns entspannt und fühlt sich mehr nach Freizeit als nach Arbeit an“, sagt Elke Stratmann (Foto), die heute die Verantwortliche ist.

Trainerin oder Trainer kann jeder werden, der die entsprechenden Kurse durchlaufen hat: Sowohl Trainer als auch Teilnehmer der Kurse können also genauso gut Inhaftierte wie Menschen von „draußen“ sein. Damit gibt es keine festgelegte Rollenverteilung zwischen „drinnen“ und „draußen“.  Auch ein Trainer von heute hat PAG als Inhaftierter kennengelernt und gibt nach seiner Entlassung weiter Kurse.

“Hat mich umgehauen!”

Petra, eine der Teilnehmerinnen, ist mehr aus Versehen an diesem Wochenende beim PAG gelandet. Das Thema sprach sie an, als sie in der Zeitung davon las. „Eins fand ich allerdings komisch: Das Angebot klang total gut, aber der Preis war so günstig.“ Doch die Leute waren nett, der Einstieg ins Programm war entspannt und machte Spaß.

Aber dann standen irgendwann ein, zwei Bemerkungen im Raum, die sie nicht so recht verstand. Und auf einmal begriff sie: Ihr netter Sitznachbar war jemand, der im Gefängnis saß! Für diese Veranstaltung hatte er Ausgang erhalten. „Die Erkenntnis hat mich erstmal umgehauen!“ Denn bis dahin hatte sie eigentlich nie etwas mit Menschen im Gefängnis zu tun haben wollen…

Zum Schluss sagte einer der inhaftierten Teilnehmer, dass gerade ein Gespräch mit ihr ihm so gut getan hätte. Das war dann umso schöner zu hören.

Ute Passarge

Der nächste PAG-Grundkurs in Celle findet statt am 14.-15.10.2017 bei uns in der Geschäftsstelle / Projekt Brückenbau, Jägerstraße 25 a.

Kurstermine für Uelzen, Rosdorf und Sehnde und mehr Informationen über PAG finden Sie unter www.pag.de

Bericht in der Ev. Zeitung

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„Gott merkt ja doch nichts!“, sagen manche. „Was weiß der da oben schon von dem, was hier vorgeht?“