21. Dezember 2012

“Wein-nacht” in der JVA

Von Pfarrer Axel Joachim Bähren, Ev. Seelsorger in der JVA Geldern: „Mit dem 1. Advent beginnt für mich im Strafvollzug die „Wein-nachtszeit“, schrieb mir ein Gefangener unserer JVA. Die langen Winternächte bergen endlos viele Erinnerungen an Kindheit und Jugend daheim, an die Zeit „draußen, wo die vier Sonntage im Advent Stationen der Vorfreude auf Heiligabend waren, wenn alle zusammen saßen, die zusammen gehören. Wo leuchtende Kinderaugen erwartungsvoll auf die Gabentische schielten. „Wenn ich an früher zurückdenke – es ist einfach zum Heulen!“ Diese „Wein-nächte“ gehören zum Nachteinschluss: hier darf der weiche Kern der harten Jungs unbemerkt aufkeimen. Weihnachtszeit – schwere Zeit im Vollzug!

 

Der Tag verdrängt die „Weinnacht“ wieder. Dann wird organisiert und geplant wie vor den Mauern auch: Wer soll mir mein Paket schicken – wem muss ich noch eine Grußkarte schreiben – wann lässt mich der Beamte am ehesten anrufen – hab ich genug Lohn stehen lassen, um meinen Festschmaus im Betrieb bezahlen zu können – welcher Besuch ist mir im Advent am wichtigsten – und wen muss ich vertrösten bei nur zwei Stunden Monatsbesuchszeit – bei welchen Weihnachtsfeiern im Knast komme ich „voll auf meine Kosten“ – wo hole ich mir meine Festtags-DVDs her?

 

Sorge und Sehnsucht

Zu diesen vorweihnachtlichen Alltagssorgen kommen jene Sorgen hinzu, die jenseits der vier Zellenwände zu Hause sind und bewusst machen, dass das Verantwortungsgefühl auch eingesperrt ist. So schrieb mir im Advent ein Gefangener über seine Stimmungslage: „Für mich ist Weihnachten ein Fest der Sorge. Der Sorge, ob es dem Menschen, den ich liebe, gut geht. Ein Fest der unstillbaren Sehnsucht zu diesem oder jenem Menschen; ein Fest der Besinnung auf das wirklich Wichtige im Leben. Weihnachten im Knast tut weh, weckt Angst, und man wünscht, dass alles ganz schnell vorüber geht. Doch Weihnachten hier schenkt mir auch etwas. Vernunft – eine Vernunft, die draußen im Kaufrausch untergeht. So ist mein wichtigster Wunsch, den ich habe, dass es meiner Frau und den Kindern, die ich draußen allein gelassen habe, gut geht; dass wir diese Zeit des Getrenntseins gut überstehen, und dass unsere Liebe dies alles überdauert. Doppelt schwer wiegt dann noch die Einsamkeit, der wir hier an Weihnachten ausgesetzt sind. Diese Einsamkeit, vor der es keine Flucht gibt, und die so massiv ist, dass sie fast körperlich spürbar ist. Sie macht Weihnachten im Knast zu einer Folter, aber nicht zu einem Fest. Eingepfercht in sieben Quadratmeter – das sperrt mir die Luft ab!

Echter als Heiligabend “draußen”

Kein Platz zum Aufatmen! „… denn sie hatten sonst keinen Raum…“ Ich denke an Maria, die Gott in sich trug. Gottes Sohn kommt auch unbehaust zur Welt in einer Art Notquartier. Dieser Botschaft ist doch der Gefangene viel näher als ich in meinem festlich dekorierten Einfamilienhaus. Gott ist dort, wo wir ihn am nötigsten brauchen, dort, wo im Hause unseres Lebens die Fundamente eingebrochen sind, wo Fenster und Türen sich nicht in die Freiheit öffnen lassen, sondern unsere Hoffnung vergittern.

Wenn unsere Gefangenen am Heiligen Abend in der Christvesper hinter Mauern singen „Christ, der Retter ist da“, dann kann dies schon viel echter sein als bei mancher Heiligabendfeier draußen, bei der Gabentische geplündert und Geldumschläge ausgetauscht werden, wo aber Christus nicht ankommt. Wo kommt er an? In den Notunterkünften dieser Erde; dort wo wir ihn brauchen, ist er uns nah. Die Stimmung, die der Gefangene mir mitgeteilt hat, zeigt mir, wie sehr er ihn braucht. In der körperlich spürbaren Einsamkeit, wo sonst? Ich habe aus der Bibel nichts anderen für mein Leben gelernt, als dass er zu den Leidenden, Verlassenen, Ausgestoßenen, zu den Gefangenen und Abgelehnten (herunter)gekommen ist.

Dann kann sogar aus der „Weinnacht“ eine echte „Weihnacht“ werden.


© Gefährdetenhilfe Scheideweg e.V. — www.gefaehrdetenhilfe.de

Bild: Aus dem Brief eines Inhaftierten

 

 

Kommentare: ““Wein-nacht” in der JVA”

  1. Heidi Krebs sagt:

    erst wenn man selbst einen Menschen kennt, der im Gefängnis sitzt, wir einem bewußt womit Menschen dort zu kämpfen haben. Danke für Ihre Arbeit mit und an diesen Menschen.

    ein gesegnetes Fest und ein erfolgreiches 2013 (erfolgreich im Sinne des Menschenfischers 🙂 )

    Heidi Krebs

  2. Dagmar Menzel sagt:

    Dem kann ich mich nur anschließen, plötzlich sieht vieles draußen anders aus.Die Werte der Freiheit in Jesus, der mit den Gefangenen drin ist, steigen noch mal. Ganz herzlichen Dank für Ihren so wertvollen Dienst und den so ermutigenden Kalender für drinnen! Gottes Segen für Sie alle und die Ihnen anvertrauten Gefangenen!

  3. HP Vreuls sagt:

    sehr geehrter Herr Pfarrer Axel Joachim Bähren,

    ich wünsche Ihnen viel Kraft und Gottes Segen – Ihre Arbeit weiterhin so gut zu meistern.ich war selber Häftling in der JVA Geldern und würde mich sehr freuen etwas von Ihnen zu hören, da ich sie gerne zu meiner Hochzeit einladen möchte.

    In der Haft ist leider kaum Platz für echte Menschlichkeit , doch sie und Ihre Arbeit und Gruppen tragen erheblich dazu bei , Licht und Wärme zu schenken….
    ich danke Ihnen herzlichst dafür.

    lg.

    Ihr HP

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