17. Oktober 2020

Die Lockdown-Zeit in der JVA Celle

(Symbolfoto) Gefängnisseelsorger Jan Postel erzählt.

Was es schwer macht, im Gefängnis zu leben, haben viele Menschen in Freiheit  in der Lockdown-Zeit am eigenen Leib erfahren. Es war schwer auszuhalten, seine Angehörigen und Freunde für Wochen und Monate nicht mehr sehen zu dürfen: die Eltern nicht besuchen zu können, das neugeborene Enkelkind noch nicht in den Arm nehmen zu können oder einfach mal auf einen Kaffee bei der Freundin vorbei zu schauen. Das ist es, was vielen Gefangenen am meisten zu schaffen macht: der Abbruch der sozialen Beziehungen – nicht selten für immer.

Quarantäne bei Berührung

Nun kam noch „Corona“ dazu. Auch im Gefängnis gab es einen Lockdown. Fast drei Monate keine Besuche von Angehörigen, keine Ausgänge zu ihnen, keine Entlassungsvorbereitung, um sich am Ende der Haftzeit eine Wohnung oder Arbeit suchen zu können. Nur festangestellte Mitarbeitende durften das Gefängnis betreten und verlassen, es sei denn, die Haftstrafe endete.

Immerhin darf nun höchstens eine Person zu Besuch kommen, die dann aber nicht berührt werden soll. Wer sich nicht daran hält, kommt anschließend in Quarantäne. Eheleute grüßen sich winkend durch die Plexiglasscheibe. Kinder können ihren Vater zur Zeit nicht besuchen, da es ihnen nicht erlaubt ist, das Gefängnis ohne einen Erwachsenen  zu betreten. Immerhin darf geskypt werden – so sieht man seine Lieben wenigstens zweimal im Monat.

Veranstaltungen abgesagt

Alle Veranstaltungen waren zeitweilig abgesagt: Keine Kontaktsportarten, keine Gruppen, ja, auch keine Gottesdienste. Das Leben reduziert auf 5-7 Quadratmeter, eine Stunde Hofgang und, wie draußen auch, die Arbeit, die weiterlief. Gefangene aus der Risikogruppe konnten in freiwillige Quarantäne gehen und wurden separiert.

Das alles, um eines zu vermeiden: dass das Virus die Mauern überwinden und in der JVA Celle seine Runde macht. Denn das hieße Einschluss für viele und eine hohe Belastung für alle. Das Leben der Gefangenen wäre nur noch auf den Haftraum beschränkt. Schwer Erkrankte müssten unter ständiger Bewachung im Krankenhaus untergebracht werden. Ein kaum zu bewältigender Personalaufwand wäre die Folge.

Menschen im Lichte Gottes sehen

All dies bedeutet, dass es eine angespannte Stimmung innerhalb der JVA gibt und es auch vermehrt zu Konflikten kommt. Mittlerweile sind einige Gruppen wieder erlaubt und die Seelsorge bietet wieder Gottesdienste an – allerdings zwei am Sonntag, um die Hygienevorschriften und Abstandsregeln einzuhalten.

Was mir aber als Seelsorger durchgehend erlaubt war, ist die „Einzelseelsorge“, wie es im Juristendeutsch heißt. So bin ich in der Lockdown-Phase sonntags zur Gottesdienstzeit von Station zu Station gegangen und habe Gespräche mit den Gefangenen und Bediensteten geführt. Ich bin Gefangenen begegnet, die ich bisher noch gar nicht kannte. Jeden Tag ist mein Fach mit sogenannten „Gesprächsanträgen“ voll. Das sind Briefe von Gefangenen, die mit sprechen möchten. Und so tue ich in dieser merkwürdigen Zeit das, was schon am Anfang des Christentums stand: Ich gehe umher und begegne Menschen – möglichst offen und vorbehaltlos – und versuche sie im Lichte Gottes zu sehen.

Aus: Bonifatius-Brief der Kirchengemeinde Klein Hehlen, Celle; Ausgabe September-November 2020.

Foto: Andreas Tittmann. Symbolfoto, das nicht die Celler JVA zeigt.

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