Mal raus dürfen aus der JVA – zum Ehrenamt
Seit 18 Jahren sitzt Herr N. in Haft. Jetzt darf zum ersten Mal regelmäßig das Gefängnis verlassen: Er hat ein Ehrenamt. Er packt bei der „Tafel“ mit an. Was eine freundliche Begrüßung bei ihm auslöst oder der Duft von Bäumen, schildert er Günter Schroven in „Forum Straffälligenhilfe“ (Auszug).
Wie am ersten Schultag
„Nachdem die Freigabe für mich kam, ehrenamtlich arbeiten zu dürfen, war mein Leben für mich irgendwie total verändert. Innerlich fühlte ich mich plötzlich nicht mehr als „Verbrecher“.
Der erste Tag allein auf dem Weg zum Ehrenamt war begleitet von einem starken Herzklopfen, als hätte ich den ersten Schultag vor mir.
Ich wurde aber insgesamt sehr positiv aufgenommen und begrüßt mit „Endlich mal ein starker Mann, der zupacken kann.“ Das tat mir so gut, das glauben Sie gar nicht. Ich gehöre zu den Aufstellern der Tafel, die nichts mit der Verteilung der Lebensmittel zu tun haben. Ich habe von anderen schon gehört, dass die „Kundschaft“ nicht immer einfach ist. Das Wort Dankbarkeit kennen manche wohl nicht. Für mich hat dieses Wort eine neue Bedeutung bekommen. Ich bin auch dankbar für die vielen kleinen Freuden, die mit dieser ehrenamtlichen Arbeit verbunden sind.
Einmal ist es herrlich, die Freiheit zu spüren. Ich entscheide, ob ich Rad fahre oder mal ein Stück laufe, um die Natur noch besser genießen zu können.
Wind und Wetter genießen
Ich muss bei jeder Tour 9 km Hinweg und 9 km Rückweg bewältigen. Manche würden vielleicht lieber den Bus nutzen. Ich aber nicht. Ich genieße jeden Meter bei Wind und Wetter und fühle mich dabei unendlich fei. Manchmal atme ich ganz bewusst die Düfte von Bäumen oder anderen Pflanzen ein. Auch das Rauschen eines Baches hat für mich heute eine Bedeutung, die vorher in meinem Leben nicht vorhanden war. Und wenn ich dann bei den Tafel-Leuten ankomme, sehe ich nur positive Gesichter und werde freundlich begrüßt, als wäre ich einer von ihnen.
Für andere da sein
Nach zwei Stunden Arbeit gibt es ein Frühstück, das ich besonders liebe. Da gibt es auch schon mal das Eine oder Andere, was nicht auf dem JVA-Speisezettel steht. Ich meine damit nicht Alkohol, sondern eine Kiwi oder so.
Ich habe früher in Freiheit gar nicht bemerkt, wie viele Menschen es gibt, die freiwillig und ohne Bezahlung für andere da sind und einfach Schwächeren zur Seite stehen. Jetzt bin ich mit dabei, das ist ein sehr gutes Gefühl.
Um Vertrauen werben
(Auf eine Frage hin sagt er, dass zwei Mitarbeitende Distanz halten.) Diese beiden Personen meiden bewusst meine unmittelbare Nähe und werden auch nicht eine Jacke mit einer Geldbörse unbeaufsichtigt rumliegen lassen. Das ist eben so. Ich muss das akzeptieren.
Im Vorfeld hat eine Mitarbeiterin der Sotha (Sozialtherapie) bei den Tafelmitarbeitern ein Informationsgespräch durchgeführt und auch meine positive Entwicklung dargestellt. Das hat die meisten überzeugt, aber eben nicht alle.
Ich muss durch mein Verhalten um Vertrauen werben. Taten sind besser als schöne Worte, das ist überall so.“
Die Angst des Opfers und das Aufarbeiten des eigenen Lebens – das vollständige Interview mit Herrn N. lesen Sie hier: „Erst mit 55 habe ich mich für meine Straftaten geschämt“ (FS 2017-5; pdf).
„Warum helfen Sie im Schwarzen Kreuz ausgerechnet Kriminellen?“
Foto oben: Schwarzes Kreuz, Mitte: Urs Mücke, pixelio