Gleich an meinem zweiten Arbeitstag…
… türmte ein Inhaftierter aus dem Offenen Abend und verschwand: So fing mein Anerkennungsjahr in Celle gut an! Wie der Name schon sagt, habe ich ein Jahr lang im Schwarzen Kreuz und im Projekt Brückenbau mitgearbeitet, um die staatliche und kirchliche Anerkennung als Sozialarbeiterin und Religionspädagogin zu bekommen.
„Nett verdientes Geld“
Und es ging weiter mit Erfahrungen, die nicht jeder macht. Der erste Klient, der sich mir im Offenen Abend von Projekt Brückenbau anvertraute, erzählte mir sehr detailliert von einem Mord. Der nächste fragte, ob ich nicht zu ihm auf eine Party kommen würde. Meine Grenzen wurden am Anfang besonders oft ausgetestet, aber den Test habe ich bestanden.
Jugendliche im Arrest waren das ganze Jahr über ein Thema für mich. Zunächst hospitierte ich vier Wochen in der Jugendarrestanstalt Nienburg und verbrachte hier mit den Jugendlichen den Arrestalltag. Ich ging mit ihnen z.B. zum Schulunterricht, zur Suchtgruppe und Schuldnerberatung. Aus den gewonnenen Eindrücken entstand eine regelmäßige Gruppe des Schwarzen Kreuzes, in der ich gemeinsam mit Ehrenamtlichen zwei Stunden gestaltete. Hier sollten die Jugendlichen sich wohlfühlen und ihre Stärken erkennen können. „Ich bin ja gar nicht so dumm“ war ein Feedback, das uns bestätigte, das Richtige zu tun. Ein anderer Jugendlicher sagte einmal, während ich mit alkoholfreiem Cocktail in der Hand Quizfragen stellte: „Das ist aber auch nett verdientes Geld!“ Da hatte er definitiv Recht.
Feindesliebe in der JVA
Freitags hoffte ich immer, keinen abendlichen Termin zu haben, um zum chrstlichen Gesprächskreis in die JVA gehen zu können. Hier ging es ans Eingemachte: Wo, wenn nicht hier, wird tatsächlich über Feindesliebe und Vergebung nachgedacht? Die Abende waren ohne Ausnahme interessant, ich bekam selbst zu den „ausgelutschtesten“ Bibeltexten neue Impulse und lernte nebenbei noch nette Leute kennen. Die Menschen im Gefängnis waren mir gegenüber sehr offen und gaben mir Einblicke in ihre Lebenswelt. Das hat mich sehr beeindruckt.
In diesem einen Jahr habe ich unglaublich viel mitnehmen können. Ich habe vieles erlebt, neue Leute kennengelernt, persönliche Grenzen ausgetestet und war das erste Mal hinter Gittern. Vor allem habe ich mich gefreut, so viele Möglichkeiten zu bekommen und sie auch nutzen zu können. Die Zeit hier habe ich sehr genossen. Ich möchte mich bei den tollen Ehrenamtlichen, Inhaftierten, Angehörigen und natürlich dem Team dafür bedanken!
Esther Birr
Weitergeführt wird die Arbeit von Frau Birr von ihrer Studienkollegin Mona Gremmel, die im September bei uns anfängt.