10. Oktober 2019

Meine Schritte in die Freiheit

In der JVA Celle ruft ein Bediensteter meinen Namen aus. „Besuch für Sie! Der Herr Reiss, vom Projekt Brückenbau.“ Ja, ich hatte einen Aushang von ihm gesehen und einen Besuchsantrag gestellt. Mein Gesicht leuchtet auf.

Unsere Gespräche finden regelmäßig statt. Ich werde verstanden. Mir wird geholfen. Ich fühle mich, als würde ich auf einer Brücke laufen, Richtung Freiheit. Die Mitarbeitenden engagieren sich sehr für mich. Sie merken, dass auch ich bereit bin, viel an mir zu arbeiten. 

Die nächste Vollzugsplankonferenz (VPK) steht an. Es soll besprochen werden, ob ich am Kreativcafé teilnehmen darf. Das Projekt Brückenbau darf mit dabei sein. Herr Reiss spricht mir Mut zu.

Neue Fähigkeiten

Und ich darf am Kreativcafé teilnehmen! Das ist für mich ein Privileg! Ich habe das Gefühl, ich bewege mich zehn Schritte auf einmal auf der Brücke vorwärts. Ich bin aber noch lange nicht am Ziel.

Es ist Dienstag. Heute ist mein erster Tag im Kreativcafé. Ich lerne alle Mitarbeitenden des Brückenbaus kennen. Selten wurde ich so herzlich aufgenommen. So fällt es mir leichter, an meinen Zielen zu arbeiten. Außerdem entdecke ich durch das vielfältige Angebot neue Fähigkeiten bei mir selbst.

Eigeninitiative plus Unterstützung 

Ich arbeite sehr effektiv mit Herrn Reiss an der Vorbereitung meiner Entlassung. Mit seiner Hilfe finde ich ein Hobby für die Zeit danach. Dabei schaffe ich nicht nur ein soziales Umfeld. Ich tue auch was nur für mich. Familie – auch hier wird der Kontakt wieder stabiler. Auch meine Angehörigen sind willkommen. Job bzw. Ausbildung – ich schreibe Bewerbungen. Suche Arbeit. Vom Bewerbungsgespräch bis hin zum Ausbildungsvertrag – ich werde unterstützt. Projekt Brückenbau hilft mir. Herstellung von sozialen Kontakten, Begleitung bei Sonderausgängen, oder einfach mal nur zum Quatschen. Die Tür ist offen. Aber auch ich selbst spiele eine bedeutende Rolle: Eigeninitiative.

Ich bin stolz!

Die nächste VPK steht an. Anders als sonst freue ich mich darauf. Ich kann etwas vorweisen, habe was geschafft. Ich bin stolz. Ich spüre, wie ich Schritt für Schritt auf die andere Seite der Brücke zugehe. Meine Ziele kommen in greifbare Nähe.

Die VPK läuft besser als erwartet. Ich werde verlegt – in den offenen Vollzug. Die Mühe von allen Parteien zahlt sich aus. Danke Herr Reiss, danke Brückenbau.

… und Entlassung!

Ich bin im offenen Vollzug. Ich atme durch – nur noch ein Katzensprung von der Entlassung entfernt. Jeden Tag gehe ich mit Freude zur Arbeit. Ich versuche dienstags nach wie vor zum Kreativcafé zu kommen. Das ist keine Auflage, ich komme freiwillig. Obwohl ich nun nicht mehr in Celle inhaftiert bin, unterstützt der Brückenbau mich weiterhin, damit ich meine Ziele nicht aus den Augen verliere.

Entlassung – ich hab es wirklich geschafft. Ich hab die Brücke erfolgreich überquert.

„Projekt Brückenbau“ hätte auch schon vor der Haft geholfen…

Mir ist bewusst, dass es damit jedoch nicht vorbei ist. Jetzt kommt es drauf an, was ich daraus mache. Weiterhin gehe ich dienstags zum Kreativcafé. Es gibt mir Sicherheit. Ich weiß, ich kann immer noch auf Hilfe und Unterstützung bauen.

Und hätte ich es früher gewusst, es hätte mir auch vor der Haft im Rahmen des Möglichen geholfen.

D.E.
(Beitrag vom Brückenbaufest 2019, leicht bearbeitet und gekürzt)

Foto: Wolfgang Jung

„Warum helfen Sie im Schwarzen Kreuz ausgerechnet Kriminellen?“

Kommentare: “Meine Schritte in die Freiheit”

  1. Uwe sagt:

    Super! Was wäre das toll, wenn es jedem SO ergehen würde!!

  2. Christiane Theiß sagt:

    Ich halte es für wichtig, einen Menschen nicht auf seine begangene Straftat zu reduzieren, sondern ihm zu helfen, seine guten Seiten wieder zu entdecken und zu stärken.

    Gelungene Resozialisierung ist das beste Mittel, weitere Verbrechen zu verhindern – und in meine Augen auch ein Gebot der Menschlichkeit.

Kommentare sind geschlossen.

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