„Mein Horizont hat sich enorm erweitert“
Seit gut einem Jahr unterrichte ich Yoga im Gefängnis Rottenburg. Die Arbeit mit den Gefangenen hat mich persönlich verändert. Vorher hatte ich nie etwas mit Inhaftierten zu tun, und anfangs hatte ich etwas Angst vor ihnen. Jetzt habe ich einen völlig anderen Blickwinkel erhalten auf die „Menschen hinter den Mauern“. Die Inhaftierten in meiner Gruppe haben Straftaten begangen, und doch sind sie liebenswürdige und ganz normal empfindende Menschen.
Es ist hart für Menschen, wie für alle Lebewesen, eingesperrt zu sein und nicht über sich selbst bestimmen zu können. Ich versuche, den Teilnehmern meiner Gruppe zu vermitteln, dass ihnen die innere Freiheit nicht genommen werden kann. Mein Ziel ist es, sie immer mehr spüren zu lassen, dass der Mensch innerlich immer und unter allen Umständen frei bleiben kann.
Es berührt mich tief innen, wenn ich die „starken Männer“ in der Entspannung liegen sehe, mit gelöstem Gesichtsausdruck und dieses „einfach Sein“ und die vollkommene Ruhe genießend.
Veränderter Blick
Es sind „echte“ Menschen, die sehr gut über ihre Gefühle reden können und die Körperübungen gerne und mit viel Humor ausüben. In keinem anderen Yoga-Unterricht habe ich erlebt, dass wir so viel und herzlich lachen – und manchmal auch total albern und kindisch. Deshalb sind die Stunden in der JVA für mich nie anstrengend, da ich mich als ein Glied der Gruppe fühle und nicht als die „Entertainerin“. Auf jede neue Kursstunde freue ich mich und meine Teilnehmer sind stets sehr dankbar und drücken dies auch aus. Während des Unterrichts vergesse ich total, wo ich mich befinde und ich hoffe nur, den Gefangenen (was für ein schreckliches Wort) geht es genauso.
Nicht nur die Inhaftierten haben meinen Blick auf die Gefängniswelt verändert. Ich habe dort auch mit vielen anderen interessanten Menschen zu tun, Sozialarbeiter zum Beispiel und Seelsorger. Sie alle haben dazu beigetragen, dass ich meine Berührungsängste überwinden konnte und jetzt Dinge tue, die ich früher nie in Erwägung gezogen hätte. Mein Horizont hat sich enorm erweitert. So gebe nicht nur ich den Gefangenen etwas, sondern nehme mindestens ebenso viel aus dem Gefängnis für mich mit nach Hause.
Margot Melachrinos
Foto: Andreas Hermsdorf, www.pixelio.de