18. Februar 2016

“Das Sinnvollste, was ich jemals getan habe”

Vortrag beim Jahresempfang. „Dinge in Ordnung bringen“, Menschen miteinander versöhnen – lässt sich ein

Strafvollzug denken, der hier einen Schwerpunkt setzt?

Das war die zentrale Frage beim Jahresempfang von Projekt Brückenbau und Schwarzem Kreuz an diesem Dienstag. Als Referent eingeladen war Pastor Friedrich Schwenger. Er ist evangelischer Seelsorger am Maßregelvollzugszentrum Moringen und landeskirchlicher Beauftragter für Gefängnisseelsorge.

 

Nachts klingelt es an der Haustür…

Der Alptraum eines jeden Vaters: Nachts klingelt die Polizei an der Haustür und teilt mit, die 17jährige Tochter sei von einem betrunkenen Autofahrer tödlich verletzt worden. Wut, Trauer, Schuldvorwürfe, Anklagen – und die Zeit heilt die Wunden nicht wirklich.

Opfer und Täter leiden über Jahre unter den Folgen. Die Opfer entwickeln Ängste und Schuldgefühle, das Leben scheint sinnlos. Die Täter entwickeln einerseits Abwehr und Verdrängung, um sich der Tat und den Gefühlen nicht stellen zu müssen, andererseits Schuldgefühle und Ängste, verbunden mit dem Wunsch nach einer Wiedergutmachung.

Nach acht Jahren nimmt der Vater mit dem Täter Kontakt auf. Der Täter erzählt von seiner Angst vor diesem Treffen, den Beschimpfungen der Nachbarn, der Ausgrenzung, der Angst um die eigene Tochter. Der Vater kann ihm vergeben und bezeichnet das Treffen als „das Sinnvollste, was ich jemals getan habe.“

 

Sehnsucht nach Heilung

Schwenger betonte: Opfer und Täter haben eine große Gemeinsamkeit – „dona nobis pacem“, den Wunsch nach Frieden, nach Heilung. Der deutsche Strafvollzug, so Schwenger, trägt dem bisher kaum Rechnung. Im Gegenteil, er fördert eher eine Entfremdung aller Beteiligten. Und wenn ein Straftäter seine Jahre im Gefängnis absitzt, ist damit noch lange keine Schuld vergeben. Er zitiert einen Straftäter: Möglich sei es im heutigen System, „eine neue Chance zu bekommen, wieder ein Teil der Gesellschaft zu werden.“ Was aber bleibe, „ist die Qual, jeden Tag mit der Tat zu leben und verantwortlich zu sein für das, was geschehen ist.“

 

“Dinge in Ordnung bringen”

Hier setzt laut Schwenger der Prozess der „restorative justice“ an, einer Denkweise im Recht, die „Dinge so gut wie möglich in Ordnung zu bringen“ im Gegensatz zu einem Vergeltungsrecht. Anders als etwa in Kanada oder Skandinavien hat dieser Ansatz in Deutschland bisher kaum Beachtung gefunden. „Es geht dabei nicht um formales Recht, sondern um die Wiederherstellung von Beziehungen.“

Im „restorative justice“ werden Opfer, Täter und das Gemeinwesen beteiligt: Das Opfer erhält Möglichkeiten zur Heilung, der Täter Hilfe zum Lernen neuer Handlungsmuster, das Gemeinwesen Chancen zur Schaffung von Strukturen für ein besseres Zusammenleben. „Ein solcher Prozess ist allerdings nicht für alle geeignet: Dafür muss ein Täter Reue empfinden können.“

 

Ein Vorschlag von Schwenger in der Diskussion nach dem Vortrag: Mit Projekten des „restorative justice“ einfach mal anfangen und einander in der Begegnung wertschätzen lernen – auch wenn man noch nicht absehen kann, wie es sich wirklich auswirkt. „Unterwegs entdeckt man dann die Wege.“

 

Hier lesen Sie das Manuskript des Vortrags.

Das Foto zeigt Friedrich Schwenger.

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